Evangelisches Sonntagsblatt, 20.07.2003

Seelische Probleme? - Hilfe ist möglich, Anruf genügt!

Der Krisendienst Mittelfranken ist ein hilfreiches und beispielhaftes Projekt

Evangelisches Sonntagsblatt
 
Hilfe kann beim Krisendienst über Telefon und Handy angefordert werden. Neben den Telefonaten werden auch Hausbesuche gemacht. Foto: Wodicka
   

Über zwei Jahre trug der Mann den Zeitungsartikel über die Eröffnung des Krisendienstes in seinem Geldbeutel mit sich herum. Erst nach so langer Zeit nahm der psychisch instabile Mann den Dienst in Anspruch. "Ich habe mir das damals ausgeschnitten, weil ich immer wieder am Wochenende Hilfe gebraucht habe", erzählte er damals seinen Helfern. "Das Wissen, ich habe eine Nummer bei mir, die ich jederzeit anrufen kann, hat mir schon so geholfen, dass ich lange keine Hilfe brauchte." In dem Artikel war die Telefonnummer des Krisendienstes angegeben. Inzwischen gibt es diese Einrichtung seit über fünf Jahren in Mittelfranken. Anfangs beschränkte sich das Angebot nur auf Nürnberg und Fürth. Doch der Erfolg des Krisendienstes bewirkte, dass in ländlichen Gegenden Außenstellen eingerichtet wurden. So gibt es inzwischen je eine Anlaufstelle in Ansbach, Schwabach/Roth, Neustadt/ Aisch und in Hersbruck. "Nun ist ganz Mittelfranken abgedeckt", freut sich Sozialpädagoge Matthias Hausner, Koordinator der Außenstelle in Ansbach.

Hilfe am Wochenende

Die Notwendigkeit eines Krisendienstes erkannten Mitarbeitende in unterschiedlichen Beratungsstellen und sozialpsychiatrischen Diensten. Ein Beispiel: Eine Frau kommt am Freitag zur Beratung und ist davon überzeugt, das Wochenende nicht zu überleben, will sich umbringen. "Früher blieb in einem solchen Fall nur die Möglichkeit, so jemanden in die Psychiatrie zu schicken", sagt Hausner. Denn Beratungsstellen sind am Wochenende geschlossen. "Vielen psychisch belasteden Menschen hilft es schon, zu wissen, dass sie im Notfall jemanden anrufen können und sich jemand um sie kümmert." Der Krisendienst ist allerdings nicht nur Anlaufstelle für psychisch kranke, sondern für alle Menschen in einer seelischen Notlage. Das können Beziehungsprobleme sein oder depressive Verstimmungen.
"Das große Plus des Krisendienstes ist die Erreichbarkeit am Abend und am Wochenende", sagt der Koordinator. Unter der Telefonnummer 0911/4248550 sind Fachkräfte zu folgenden Zeiten zu erreichen: Montag bis Donnerstag von 18 bis 24 Uhr, Freitag von 16 bis 24 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 10 bis 24 Uhr. "Die Zentrale in Nürnberg ist in diesen Zeiten mit drei bis vier Fachkräften besetzt", erläutert Matthias Hausner.
"Manche Probleme können schon gut am Telefon gelöst werden." Vielen Menschen helfe es, mit geschultem Personal zu sprechen und Hilfe zu bekommen. "Das unterscheidet uns von der Telefonseelsorge, dass bei uns nur Fachpersonal am Telefon sitzt und Probleme mit Anrufern professionell analysieren und helfen kann." Doch bei manchen Menschen reicht ein Telefonat nicht aus. In so einem Fall entscheiden die Nürnberger, wie geholfen werden kann. Jede Außenstelle hat mehrere ehrenamtlich Mitarbeitende - alles psychologisch geschulte Leute. Da engagieren sich Sozialpädagogen, Psychologen bis hin zu Psychotherapeuten. Immer zwei von ihnen sind in Rufbereitschaft. "Wenn die Zentrale in Nürnberg feststellt, dass ein Anrufer mehr braucht als nur ein Telefonat, werden die zwei Mitarbeiter aus der jeweiligen Außenstelle hingeschickt", beschreibt Hausner das Vorgehen. Hausbesuche werden immer zu zweit gemacht, im Idealfall eine Frau und ein Mann. "Das ist für unsere Mitarbeiter sicherer und oft auch für die Hilfe Suchenden." Er berichtet von einem Beispiel, als eine junge Frau anrief, die Angstzustände hatte. "Als die beiden Krisenhelfer ankamen, lag sie im Bett und schlotterte vor Todesangst. Die Mutter schimpfte permanent laut auf ihre Tochter ein. Da musste einer von den Helfern erst mal die Mutter von dem Mädchen wegbringen und sie dann fern halten." Wäre da ein Helfer allein gewesen, er hätte nicht viel ausrichten können.

Hauptproblem: Angst

Angst und Angstzustände sind die Hauptprobleme vieler Menschen, die beim Krisendienst anrufen. Andere leiden unter Einsamkeit und halten es Zuhause fast nicht aus. "Einmal rief uns ein Mann vom Altmühlsee aus über Handy an und wollte uns dort treffen, weil er Angst hatte, nach Hause zu gehen. Also sind wir da raus gefahren", so Hausner. Andere wieder wollen nur eine Telefonnummer oder Adresse wissen, wohin sie sich mit bestimmten Problemen wenden können. "Es ist unser Ziel, Menschen Hilfe zu leisten, das heißt oft, sie weiter zu vermitteln an Ärzte, Selbsthilfegruppen oder an die Telefonseelsorge." Hausbesuche werden oft bei Familienproblemen gemacht. Das Modell des Krisendienstes Mittelfranken ist in Bayern ein Vorzeigeprojekt. Die Einrichtung ist ein Gemeinschaftsprojekt der Stadtmission Nürnberg, der Arbeiterwohlfahrt, des Bezirkes Mittelfranken und der Stadt Nürnberg. Das Besondere am Krisendienst Mittelfranken ist, dass er sehr kostengünstig arbeitet. "Das liegt daran, dass wir Zentrale wie Außenstellen mit Fachleuten besetzen können, die diesen Dienst neben ihrer normalen Arbeit als Honorarkraft leisten." Der Krisendienst kann letztlich viel Geld sparen, denn die Einweisung in eine Klinik ist teuer, ein Anruf beim Krisendienst kann manchmal den gleichen Zweck erfüllen und kostet lediglich die Telefongebühr. "Und die Hürde, wo anzurufen, ist auch wesentlich niedriger, als in die Klinik zu gehen", meint Matthias Hausner.

(Krisendienst Mittelfranken: Telefon: 0911/4248550;
e-mail: info@krisendienst-mittelfranken.de;
Internet: www.krisendienst-mittelfranken.de)

Karin Ilgenfritz